Berichte

Das 70. Jubiläum

Stuttgarter Dante-Gesellschaft


Bilder: Klaus Bertl 

Bildtexte: Elisa Gorontzy

Eine Sprachreise nach Livorno

vom 22. bis 30. April 2023

von Astrid Frey

Glücklich und voller Begeisterung kehrten die Teilnehmer der Kunst- und Sprachreise aus Livorno zurück, voller Erinnerungen an eine Woche mit großartigen, emotionsreichen Eindrücken, die allen unvergesslich bleiben werden. 

Simonetta Puleio, die Präsidentin der Stuttgarter Dante-Gesellschaft, hatte das gesamte beeindruckende Programm organisiert. Schon bei unserer Ankunft am Flughafen von Pisa wurden wir begeistert von der Leiterin der Sprachschule Agorà, Dr. Lisa Ceccherini, begrüßt, und diese herzliche Atmosphäre der Gastfreundschaft begleitete uns durch unsere gesamte abwechslungsreiche, faszinierende Woche.


Als wir mit dem Taxi nach knapp 30 Minuten in Livorno ankamen, staunten wir über den atemberaubenden Anblick des Hafens, der im Abendlicht eine mystische Stimmung verbreitete mit der beeindruckenden Festung „Fortezza Vecchia“ und dem gleich gegenüberliegenden Wahrzeichen Livornos: Il Monumento ai quattro Mori. Es besteht aus einer Statue des Granduca Ferdinando I und vier großen Bronzefiguren, die gefangene Piraten in Ketten darstellen. Unsere Neugier auf die Geschichte dieser Stadt wuchs und gleich am nächsten Tag nahm uns eine leidenschaftliche Stadtführerin mit auf die spannende Reise in die Vergangenheit dieser ungewöhnlichen Hafenstadt.


Aus einem kleinen Küstenort machte der Großherzog Ferdinand I am Ende des 16. Jahrhunderts eine Hafenstadt mit mächtigen Wallanlagen, durchzogen von vielen Wassergräben und seiner genialen Idee zur Besiedelung dieses Ortes. Die Idee der Freiheit sollte Menschen aller Nationalitäten, Hautfarben, Glaubensrichtungen, Berufe nach Livorno locken, und Ferdinand versprach ihnen nicht nur vollkommene Steuerfreiheit, sondern auch Religionsfreiheit und Toleranz. Die jüdische Bevölkerung war vollkommen frei in die Stadt integriert und musste nicht wie in allen anderen Städten Europas in einem Ghetto leben. So wuchs Livorno zu einer kosmopolitischen und multireligiösen Handels- und Hafenstadt mit einem Leben geprägt durch Natur, Handel, Kultur, Kunst und dem humanitären Geist der Freiheit als universales Menschenrecht.


Wir bestaunten die Schönheit des Quartiere Venezia, ein Stadtteil durchzogen von vielen Kanälen mit Bootsanlegestellen, Ruderclubs und Handelshäusern mit Warenlagern. Bei einem erholsamen Mittagessen am Hafen im Ristorante Aragosta lernten wir die typischen Spezialitäten kennen: die berühmte Fischsuppe „Cacciucco“, Risotto mit Tintenfisch, Baccalà, Muscheln aller Zubereitungsart durften natürlich auch nicht fehlen und Calamari, gegrillt, gebacken, alles köstlich!! Und herrlich war auch die typische Spezialität Torta di Ceci, für die der in Livorno geborene Maler Amedeo Modigliani immer wieder aus nostalgischen Gründen in seine Heimatstadt zurückkehrte.

Der Nachmittag war der Kunst gewidmet mit dem Besuch des Museums Fattori mit vielen stimmungsreichen Landschaftsbildern und großen Schlachtengemälden des Meisters. Giovanni Fattori (1825-1908) der Maler, der zur Künstlergruppe der Macchiaioli gezählt wird, war einer der großen Persönlichkeiten Livornos, genauso wie der Komponist Pietro Mascagni (1863-1945) und Amedeo Modigliani (1884-1920), dessen Geburtshaus wir einige Tage später besichtigten mit einer großartigen Führerin. Dieser erste Tag voller wunderbarer Eindrücke endete mit einem ausgedehnten Spaziergang zur Terrazza Mascagni, einem wunderschönen Platz mit unendlichem Blick auf das glitzernde Meer an der Uferstraße. Der Aperitif zum Sonnenuntergang verzauberte die Abendstimmung.


Am nächsten Tag starteten wir mit dem Sprachunterricht in der Agorà, einer Schule mit umfangreichem internationalem Angebot, und einer offenen, herzlichen Atmosphäre der liebevollen Gastfreundschaft. Täglich erwartete uns ein inspirierendes Vormittagsprogramm mit Unterricht und fundierten Vorträgen zu den Programmpunkten der Nachmittage. Dazu gehörten die Lebensgeschichte Amedeo Modiglianis, Einführung in das lyrische Werk des Poeten Giorgio Caproni, sowie eine Lesung des Schriftstellers Michele Cecchini.

Ein ganz besonderes Highlight war der Besuch der Synagoge mit einer brillanten Führerin, die uns mit der exzeptionellen jüdischen Geschichte und Kultur Livornos, geprägt durch den Geist der Freiheit, beeindruckte. Der Besuch des jüdischen Museums und der ausgedehnte Spaziergang zum jüdischen Friedhof vervollständigten unsere Eindrücke dieser jahrhundertealten Tradition.

Auch alle anderen Sehenswürdigkeiten waren genauso atemberaubend, so z.B. die größte Markthalle Europas im Jugendstil, der Mercato Centrale, mit seinem sagenhaften Angebot an diversen Meeresfrüchten, Fleisch, Gemüse, Käse, Wein, etc.

Die engagierte Führerin im Teatro Goldoni ließ uns sogar hinter die spektakulären Kulissen und Technikeinrichtungen blicken, und höchst ungewöhnlich war ihr Angebot, bis auf das Glasdach des Theaters zu steigen, was uns einen atemberaubenden Rundblick über die Stadt, das Meer und die Pisaner Berger schenkte. Auch der Spaziergang zum Leuchtturm bot uns nach dem Besteigen der über 300 Stufen einen phänomenalen Rundblick über den Hafen, auf die Stadt und die immense Weite des Meeres.


Natürlich durfte eine Bootsfahrt durch die Kanäle Livornos nicht fehlen, die im Hafen begann, an der Fortezza Nuova vorbeiführte und unterirdisch unter dem größten Platz, der Piazza della Repubblica, hindurchführte. Auch zwei Ausflüge nach Pisa und Lucca rundeten das fulminante Programm ab.


Wir bedanken uns von Herzen bei Simonetta, Lisa, unseren engagierten Lehrerinnen und allen passionierten Führerinnen durch die Stadtgeschichte Livornos.


Livorno!

Was für eine gute, einladende Idee von Simonetta!
von Heidi Gelzer


Am Vormittag Sprachbad in der Schule von Agorà, dazu Vorträge über Amedeo Modigliani, Giorgio Caproni (la mamma!) und den Schriftsteller Cecchini (goose by me). Am Nachmittag ein interessantes Programm, immer unter Simonettas Fittichen:Museo Fattori; Sinagoga, Museo und Cimitero ebraico; mercato centrale; Istituto di Cultura Italo-Tedesca; Casa Modigliani; giro in batello; Teatro Goldoni und sogar gemeinsamer Kinobesuch (Il sole del Avvenire). Der Blick von der 11-stöckigen Aussichtsplattform des Fanale di Livorno gab uns einen hervorragenden Überblick über den Hafen und die Stadt bis hin zum Monte Pisani und den nahe gelegenen Inseln. Und nicht nur das! In Pisa und Lucca (con il treno) war unsere Gruppe eine von unzähligen anderen, die diese verlockend aussehenden Städte unbedingt sehen wollten. Unsere Schrittzähler zeichneten pflichtbewusst die täglichen Höchstleistungen auf. Auf den gemeinsamen Wegen von einem Ort zum anderen ergaben sich anregende Gespräche zwischen den Stuttgarter Italienfans in immer neuen Gruppen.


Danke, Simonetta, für diese außergewöhnlich interessante Woche!

Bilder und Bildtexte: Simonetta Puleio

Eine Kunstreise nach Venedig und Treviso

vom 02. bis 16. Oktober 2022

von Evelin Winands


Wie schon im Oktober 2021 sind wir wieder da und lassen uns mitnehmen in die einzigartige Welt Venedigs: eine Stadt für Träumer, die schon immer Künstler, Maler, Dichter und Komponisten inspiriert hat. Die Kanäle, Lagunen, Gässchen, die stattliche Architektur, das bewegte Treiben der Lieferanten auf dem Wasser und die geschickt manövrierenden Karren zwischen den Touristen und ihren rollenden Koffern – ein unentwegtes und ein unerschöpfliches Entzücken! Venedig – immer wieder von Neuem ein Ort der ganz besonderen Leidenschaften und Impressionen. An einer Hauswand steht geschrieben: „Venezia – uno stile di vita“. Wie wahr!

Sofort nach der Ankunft fühlt man sich umgarnt von der frischen Luft, dem hellen Licht, dem lauten Treiben und den pulsierenden Wasserflächen.  Das Gehen auf den Calli gleicht oft einem Balanceakt, ein kanalisiertes und geleitetes Fließen und Strömen, mal dunkle, mal helle Wege, doch plötzlich blitzt die Sonne auf, es wird dir schlagartig heiß, (wir hatten Glück mit gutem, sonnigem Wetter ohne Regen) aber dann geht es sofort wieder auf eine kleine Brücke hinauf und wieder hinunter und du schaust in das grüne, wabernde Wasser mit seinem Rumoren, Klatschen und Schmatzen, ein großes Bild gebremster Kraft. Das Wasser erscheint oft in seiner tranigen Schwere beinahe reglos in dem engen Korsett der Wasserstraße. Aber seine Farbe ist trotzdem faszinierend grün. Es war immer schon für uns Venedig-Besucherinnen und Besucher ein beruhigender, besonderer Genuss nach den ermüdenden Besichtigungen in der Stadt, wenn wir mit dem Vaporetto ein paar Stationen gefahren sind. Das Glitzern des Wassers und die sanften Wellen, dazu der warme Wind und schon mit den Hungergefühlen im Bauch, und verschwitzt sich nach einer erfrischenden Dusche sehnend. Nach unseren Spaziergängen haben wir uns niedergelassen und einen Spritz oder Weißwein bestellt, saßen an winzigen runden Tischen und die Kellner – immer männliches Personal - waren freundlich und gut gekleidet mit ihren weißen Jacken und schwarzen Hosen. Im weichen Spätnachmittagslicht leuchteten die Weinkaraffen wie schwerer Honig. Kleine Häppchen haben wir dazu gegessen, die Cicchetti oder ein Tramezin, eine typisch venezianische Institution! Unser unmittelbarer Zugang zur italienischen Lebenswirklichkeit.


Unsere Tage in Venedig standen in der ersten Woche unter dem Motto „SETTIMANA SPECIALE DANTE STOCCARDA - L’universo delle Scuole piccole veneziane: storia, arte, devozione“, welches das Istituto Venezia und unsere geschätzte und sympathische Kunsthistorikerin und Theologin Ester Brunet exklusiv für uns zusammengestellt hatte. Also, wir haben gelernt, was „Piccole Scuole“ bedeutet: Als Scuole wurden in der Republik Venedig geistliche und karitative Korporationen, Zünfte und Gilden oder Zusammenschlüsse von auswärtigen Landsmannschaften bezeichnet. Auch die Synagogen wurden als solche akzeptiert und hießen in Venedig daher gleichfalls Scuola. Neben den einflussreichen und vermögenden Scuole Grandi gab es eine große Anzahl von Scuole Piccole, in denen sich Händler und Handwerker zusammenfanden. In den Gassen Venedigs findet man auch heute noch viele Örtlichkeiten, deren Bezeichnung auf die beruflichen Aktivitäten hinweisen, die hier ausgeübt worden sind. Viele dieser Tätigkeiten waren für das Leben der Menschen und somit auch der Stadt von großer Bedeutung. Sie reichten von einfachen Handelsformen wie der Deckung des täglichen Bedarfs, bis hin zu den gefragten, spezialisierten Berufen wie Seidenweber, Schuhmacher oder Goldschmiede. Von dieser Vielfalt an Berufen sind noch Spuren vorhanden, die man hier und da an den Hauswänden findet und die heute als Straßenbezeichnungen dienen. Die einzelnen Berufe waren in den so genannten Scuole Artigianali zusammengefasst, das waren Berufsvereinigungen, ähnlich den gewerblichen Gilden bzw. Zünften bei uns.

Ein Beispiel unter vielen: Die Scuola dei Calafati (Kalfaterer). Kalfaterer machen Schiffe wasserdicht, indem sie die Nähte zwischen hölzernen Schiffsplanken mit Werg abdichten. Sie verwenden hauptsächlich Handwerkzeuge, um Schiffsklebstoff zu erhitzen und ihn sodann in die Nähte einzubringen. Die Kalfaterer hatten ihren  Seitenaltar in der Chiesa Santo Stefano. Die von außen gesehen schlichte, katholische Pfarrkirche liegt im Stadtteil San Marco am Campo Santo Stefano, die wir besichtigen konnten. Weitere Besichtigungen zu unserem Thema fanden an den Orten, Plätzen und Kirchen statt: Chiesa dei Carmini, Galleria dell’Accademia, Scuole dei “forestieri” ai Frari, San Pantalon, San Moisè, San Cassiano, San Polo, San Giacomo dall’Orio (es ging also um l’arte delle Scuole piccole e devozione und Il grande “teatro della pietà” dell’arte delle Scuole del Sacramento).


Ein Höhepunkt unserer Kulturreise war der Besuch im  Archivio di Stato Venezia  am  Campo dei Frari. Das Archiv birgt den überwiegenden Teil der historischen Quellen, die die Republik Venedig, seit dem Stadtbrand von 976 bis 1797 hinterlassen hat. Dank den Bemühungen von Inge Rode (wie schon unzählige Male zuvor, kompetent, perfekt und pfiffig vorbereitet, Grazie Mille, liebe Inge!) und den Verbindungen der Dante-Gesellschaft bekamen wir einen 3-stündigen Kuratoren-Termin, una visita guidata; eine Vergünstigung, weil es einzelnen Touristen nicht möglich ist überhaupt in das Gebäude hinein zu kommen. Was für ein unfassbarer Eindruck! Für unser Thema Piccole Scuole hatten die Kuratoren Dokumente, Schriftstücke und Bücher herausgesucht und für uns zur Anschauung bereitgelegt. Sie waren in Leder gebunden oder auf Pappe aufgefädelte Seiten zum Beispiel aus den Jahren 1351 bis 1425. Man musste zweimal hinsehen denn es war fast nicht zu glauben, dass die Akten und Bücher mit Tinte und Federkiel beschriftet und zum Teil mit hübschen Miniaturen verziert waren. Wie die Mariegole, d. h. die Satzung einer Bruderschaft (Scuola) samt Listen der Mitglieder über Jahrzehnte oder Jahrhunderte hinweg, ebenso ihre Arbeitsregeln usw. beinhalteten. Wir staunten, dass es damals schon so viel Recht und Ordnung gab. Ebenfalls im Staatsarchiv befinden sich neben den Akten der Serenissima zahlreiche Bestände von Klöstern und Kirchen, von Notaren und adeligen Familien und eben der sechs Scuole Grandi und der zahlreichen Scuole Piccole. Hinzu kommt eine Bibliothek mit einem Bestand von rund 59.000 Bänden (lt. Wikipedia).

 

Weiter im Programm stand noch eine kurze Bahnfahrt nach Treviso, der kleinen Schwester Venedigs. Für den Besuch der Stadt mit ihren schönen Arkaden, gab es die Besichtigung der Ausstellung von Paris Bordone im Museo der mittelalterlichen Santa Caterina (unsere Irene Musolino hatte uns im September mit ihrem Zoomvortrag schon darauf vorbereitet – Grazie Mille, Irene).


In der zweiten Woche in Venedig ging es mit einer kleineren Gruppe weiter mit Führungen der Architektin Silvia Capriata.  Wir konnten Sie bereits in 2021 mit ihrem sehr spannenden Kurs unter dem Thema „Venezia città d'acqua“ kennen lernen. Und diesmal, wieder mit Leib und Seele dabei, hieß ihr Kurs „Venezia: dettagli archittetonichi“. Addio Venezia – torneremo presto. Sicuramente.


Für alle, die Venedig lieben, meinen persönlichen Tipp für weiterführende Literatur:

  • Luciano Menetto: Le Scuole di Venezia, Itinerari tra luoghi di devozione e Associazioni di arti e mestieri. (Guide a musei e siti storici Le scuole di Venezia).
  • Luciano Menetto, Pierfranco Fabris, Venezia. Le isole incantate (Un libro dedicato a coloro che vogliono uscire dai percorsi "obbligati" per andare a vedere e capire le tante "Piccole Venezie")
  • John Ruskin: Die Steine von Venedig (das große Werk des englischen Schriftstellers, Malers, Kunsthistorikers und Sozialphilosophen über die Serenissima und ihre Architektur, neu komponiert von Catharina Berents und Wolfgang Kemp).

Bilder und Bildtexte: Josef Soltys

Kunstreise nach Mantova

15.05. - 28.05.2022

Eine bessere Vorbereitung auf eine Reise, zumal Kunstreise, könnte man sich kaum vorstellen: In mehreren Sitzungen über ZOOM hatte Irene Musolino M.A. (Berlin) uns schon im Vorfeld in die Gedankenwelt der Renaissance und speziell des Universalgenies und Architekten Leon Battista Alberti, eines Wegbereiters und Erneuerers, eingeführt. Und ihr Vortrag zum genialen Andrea Mantegna versprach höchsten Kunstgenuss. Welch ein Erlebnis, in der Camera degli Sposi im Palazzo Ducale in die Geschichten einzutauchen, die das den ganzen Raum einnehmende Fesko Mantegnas erzählt; zu sehen wie Ludovico Gonzaga, der ein Schreiben empfangen hat, sich seinem Sekretär zuwendet; wie der blaue Vorhang aus dem Bild herausweht; wie die schönen Jagdhunde vorsichtig eine Pfote über die architektonische Bildbegrenzung hinausschieben; wie Barbarina, kostbar gekleidet, den Kopf wendet: was mag sie nur denken? Ahnt sie, was sie am Hofe von Eberhard im Barte im württembergischen Urach erwartet, wenn sie den Glanz des Mantovaner Hofs verlässt? Eine Antwort  auf die besonderen Beziehungen zwischen den Gonzaga und dem Hause Württemberg finden wir im Archivio di Stato.


Die Stadt, ein einziges Kunstwerk auf engstem Raum, zu Fuß leicht zu durchmessen von der Piazza Sordello aus mit dem Dom, der „Winterkirche“ der Mantovaner, und dem Palazzo Ducale, von dem aus das Geschlecht der Gonzaga vierhundert Jahre lang herrschte, über die Piazza Broletto und Piazza delle Erbe zur „Sommerkirche“ der Mantovaner, S. Andrea von Leon Battista Alberti. Welch ein Raumwunder, das neben so vielem vom Willen der Gonzaga zeugt, sich auch und gerade über die Kunst als Herrscher zu definieren.


Wir wandern in der Stadt durch die Jahrhunderte, staunen über den Palazzo del Te mit den Fresken von Giulio Romano, dem Schüler Raffaellos, der so ganz offensichtlich mit gelegentlich derber Lust und dem Vergnügen an der Verwirrung des Betrachters spielt. Wir besuchen die Biblioteca Teresiana und spüren die Anerkennung, die man der österreichischen Kaiserin noch heute zollt, weil sie nach Mantova nicht als Ausbeuter kam, sondern als Förderer; ganz anders als Napoleon. Und während in Venedig noch das Verdienst Napoleons, die Friedhöfe wegen der Hygiene aus der beengten Stadt auf die Toteninsel San Michele verlegt zu haben, erwähnt wird, findet in Mantova unsere Führerin kaum ein gutes Wort für ihn. Wir laufen durch das jüdische Viertel, das einstmals ausgegrenzt und durch einen stinkenden Graben, in den die Schlachtabfälle geworfen wurden, vom Rest der Stadt getrennt war, immer mehr verfiel, doch inzwischen zu den wohlhabendsten Vierteln der Stadt gehört. Mit dem Teatro Bibiena, einem „wissenschaftlichen Theater“, das für Vorträge konzipiert wurde, aber so gar nicht wissenschaftlich nüchtern daherkommt, befinden wir uns schon im 18. Jahrhundert; und im Palazzo d'Arco mit seinen reich möblierten und dekorierten Räumen können wir uns ein Bild vom Leben der adligen Oberschicht Ende des 19. / Anfang des 20. Jahrhunderts machen. 


Auch vor den Toren der Stadt  haben die Gonzaga ihre Spuren hinterlassen. Unser Weg führt uns nach Curtatone, wo wir die Wallfahrtskirche Madonna delle Grazie mit ihren außergewöhnlichen Votivgaben besuchen. Und in Sabbioneta errichtete Vespasiano Gonzaga im 16. Jhdt. seine von einer Festungsmauer umgebene Idealstadt, eine Blüte der Renaissance, deren Glanz man heute nur noch erahnen kann.


In der Klosteranlage von San Benedetto Po begegnen wir zwei Bekannten wieder: der auch in Mantova gegenwärtigen Matilda; gemeint ist Matilda di Canossa, eine der einflussreichsten und mächtigsten Frauen im 12. Jahrhundert, die mit Kaiser und Papst Umgang pflegte und im Investiturstreit eine Rolle spielte. Sie war über den Gründer des Klosters, ihren Großvater väterlicherseits, den Conte di Mantova Tedaldo di Canossa, in den Besitz der Anlage gekommen. Der zweite Bekannte ist Giulio Romano, der Hofmaler und -architekt der Gonzaga, der von diesen zur Neustrukturierung der Klosteranlage „ausgeliehen“ wurde.


Schließlich unser Abstecher nach Verona und San Zeno, ein Abstecher, der sich dank unserer hochgeschätzten Führerin, der Kunsthistorikerin und Theologin Eszter Brunet, als der kunsthistorische Höhepunkt unserer Reise erweist. Mit ihr können wir ein noch nicht öffentlich zugängliches Fresko anschauen, das den Staufer Friedrich II darstellt, wie er verschiedene Stände empfängt. Und überwältigend in seiner Plastizität und Tiefenwirkung ist das Triptychon von Andrea Mantegna, das wir aus nächster Nähe betrachten dürfen.


Dieses reiche Programm an Besichtigungen und Führungen verdanken wir der kundigen Planung von Inge Rode,  -  ihr gilt an dieser Stelle unser aufrichtiger Dank!   -    die trotz aller organisatorischer Widerstände diese Reise für uns unvergesslich gemacht hat. Da kann man sich kaum vorstellen, dass der Baedeker von 1891 einen „4-6stündigen, immerhin sehr lohnenden Aufenthalt“ empfiehlt, um gleichzeitig wegen der vielen Mücken „vor dem Übernachten zu warnen“. Mücken haben uns wohl nicht geplagt, dafür hatten wir umso mehr unter den auch in Mantova zu dieser Jahreszeit ungewöhnlichen Temperaturen von bis zu 34 Grad zu leiden. Die dicken Palastmauern und kühlen Kirchen hier und da waren daher mehr als willkommen.


Und zum Schluss noch einmal Leon Battista Alberti, der nicht nur ein genialer Architekt, sondern auch ein amüsanter Schriftsteller war: In seinem Roman „Momus“ in lateinischer Sprache  wird ebendieser Momus, Gott der Kritik und Nörgelei,  aus dem Olymp geworfen und unter die Sterblichen verbannt, denen er das Beten und Opfern beibringt und damit den Göttern das Leben zur Hölle macht. Nach seiner Rückkehr in den Olymp berichtet Momus den Göttern, wie es sich unter den Menschen lebt und welches die beste berufliche Tätigkeit sei, nämlich das Betteln. „Dieser Beruf besteht ganz in Sorglosigkeit, Nachlässigkeit und dem völligen Mangel an allem, was sonst als notwendig erachtet wird (….). Wenn du den eigenen Besitz verlierst, musst du es nur gut mit dir selbst meinen und einen anderen um sein Eigentum bitten.“ Wer wollte da, angesichts der Bettler, denen wir Tag ein Tag aus auf den Straßen und Plätzen begegnet sind, leugnen, dass der Geist Albertis noch immer durch diese Stadt schwebt ….

D.R.

  • Venedig

    3.10.2021 - 16.10.2021

    Ankunft an einem lauen, fast noch spätsommerlichen Abend, die Restaurants sind gut besucht, die Gassen belebt, wenigstens bis 22 Uhr; danach fällt die Stadt in den Schlaf und erwacht erst, mitunter sehr früh, wenn die Müllabfuhr auf den Kanälen lärmt. Die Unterkunft in der hereinbrechenden Nacht zu finden, ist in Venedig eine Herausforderung, weil in jedem Sestiere die Häuser, ihrer Entstehung folgend, durchnummeriert werden, was zu absurd hohen und beileibe nicht fortlaufenden Hausnummern führt. Da hatte Johann Gottfried Seume es auf seinem „Spaziergang nach Syrakus“ - abgesehen davon, dass er auch die Anreise zu Fuß machte  -  leichter, da er von einem Reisegenossen aus Conegliano „durch eine große Menge enger Gäßchen  in den Gasthof (...) [begleitet wurde] nicht weit vom Markusplatze, wo [er] für billige Bezahlung ziemlich gutes Quartier und artige Bewirtung fand“.


    Spaziergänge machten wir allerdings auch, jeden Tag, denn Venedig muss man sich erlaufen. Und Dank der kundigen Führung von Silvia Capriata, einer begabten Architektin mit großer Liebe zu ihrer Heimatstadt, hat sich uns Venedig ganz neu erschlossen. Wir lernten zum Beispiel, wie erfinderisch die Venezianer angesichts der topographischen Gegebenheiten ihre Stadt anlegten, wir begriffen, warum eine Häuserzeile so und nicht anders verläuft, warum die Plätze in Venedig fast ausschließlich campi heißen, wir lernten die unterschiedlichen Kanäle mit und ohne parapetto, die Funktion der portici vor den Kirchen und die Entwicklung der Palazzi vom Handelshaus zum repräsentativen Wohnhaus der Patrizierfamilien kennen, eine Stadt der Kaufleute. Nirgendwo ist die Vergangenheit in der Gegenwart so lebendig wie in Venedig.


    In der zweiten Woche machten wir uns mit der hochgeschätzten Kunsthistorikerin und Theologin Ester Brunet auf die Suche nach dem „Marienbild“ in Venedig, ein unerschöpfliches Thema in einer Stadt, die mehr als 140 Kirchen zählt, die größten Maler hervorgebracht hat – in diesem Zusammenhang sahen wir Gemälde von Giovanni Bellini, Vittore Carpaccio, Paolo Veronese, Tiziano, Jacopo Tintoretto, Jacobello del Fiore, um nur einige zu nennen  -  und den Marienkult pflegte, auch und gerade im Dienste der Serenissima. Allein dass der Legende nach die Gründung der Stadt im Jahre 421 n. Chr. auf den 25. März festgelegt wurde, den Tag von Mariä Verkündigung im kirchlichen Kalender, macht deutlich, wie eng die Figur der Maria mit dem Selbstverständnis der Stadt verknüpft ist. Dazu gehört auch, dass die Maxime der Stadt „Dove non c'è giustizia non c'è pace“ die für die Serenissima wichtigste der vier Kardinaltugenden Marias (prudenza, forza, giustizia, temperanza) aufnimmt, und sie Venezia, der Verkörperung der Stadt, zuordnet, wie viele bildliche Darstellungen belegen. So verschmelzen geradezu in dem Triptychon von Jacobello del Fiore in den Gallerie dell'Accademia, das  bezeichnenderweise den Titel Giustizia trägt,  die Figuren der Venezia und Maria: der gekrönten Maria auf dem Löwenthron des weisen Salomon, der mit den Löwen wiederum auf San Marco, den Schutzpatron Venedigs verweist, sind die Attribute der Giustizia mit Waage und Schwert beigefügt. Das stolze Venedig sieht sich ihr verpflichtet und in ihrer Nachfolge: eseguirò gli ammonimenti degli angeli e le parole sacre, blanda con i pii, nemica dei malvagi e superba con gli orgogliosi“.

     

    Ausflüge nach Padova mit dem Besuch der Basilica di Sant'Antonio di Padova und nach Vicenza auf den Spuren Palladios ergänzten das kunsthistorische Programm. Einblick in die einzigartige Tradition der venezianischen Handwerkskunst boten das Museo Rubelli und die Tessitura Bevilacqua: kostbarste Stoffe in den schönsten Farben und Mustern. Und schließlich fanden wir auch artige Bewirtung in den zahlreichen osterie und cicchetterie, und einen schnellen caffè mit oder ohne cornetto zwischendurch.  Arrivederci Venezia!

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